Ringvorlesung Lateinamerika Sommersemester 2025
Seit vielen Jahren veranstalten das Zentrum Lateinamerika (CLAC) und der Arbeitskreis Spanien-Portugal-Lateinamerika (ASPLA) eine interdisziplinäre Ringvorlesung zu kultur-, politik- und wirtschaftswissenschaftlichen Themen mit Lateinamerikabezug. Die Vortragsreihe richtet sich an Studierende aller Fakultäten der Universität zu Köln, an Gasthörer*innen, Lehrer*innen und Schüler*innen sowie die interessierte Öffentlichkeit und umfasst Beiträge herausragender nationaler und internationaler Expert*innen verschiedener Fachbereiche.
Rassismen und antirassistischer Widerstand. Perspektiven aus Lateinamerika.
Lateinamerika ist ein Weltregion, die früh durch Europäer kolonisiert wurde und wo aufgrund des interkontinentalen Handels mit Menschen aus Afrika, die in Amerika versklavt wurden, geprägt war. In der Kolonialzeit entstand basierend auf den interkontinentalen Migrationen im Zusammenhang mit den ungleichen Machtverhältnissen zwischen Kolonisierten, Kolonisierern und Verschleppten soziale Strukturen, die auf der Hierarchisierung von Menschengruppen nach ihrer Herkunft basierten. Indigene sowie afrikanischstämmige Menschen wurden von den spanischen und portugiesischen Kolonisten unterdrückt, in Zwangsarbeitsverhältnisse gezwungen und sie hatten eine andere Rechtsstellung als Europäer und deren Nachfahren in Amerika. Diese Verhältnisse bildeten die Grundlage für Rassismen, die bis heute fortbestehen. Schwarze werden in Lateinamerika ebenso diskriminiert wie Indigene, wenngleich die Formen der rassistischen Ausgrenzung für beide Gruppen nicht deckungsgleich sind. Gegen die Diskriminierung hat es von Beginn an auch Widerstand gegeben. Beides wird in der Ringvorlesung behandelt.
Termine im Sommersemester 2025
Die Ringvorlesung findet donnerstags von 16:00 Uhr bis 17:30 Uhr im Gebäude 106 im Seminarraum S11 in Präsenz statt.
Wichtig: Am 15.05.2025 findet die Ringvorlesung ausnahmsweise im Hörsaal VIII des Hauptgebäudes statt!
Programm
"Was ist Rassismus?" - Silke Hensel (Uni Köln)
" 'Blutreinheit', 'Calidad', und Rassismus im kolonialen Hispanoamerika" - Dr. Sarah Albiez-Wieck (Uni Münster)
Als Kolumbus 1492 in Amerika ankam, spielte Abstammung eine wichtige Rolle in den Gesellschaften auf beiden Seiten des Atlantiks. Von der iberischen Halbinsel wurde die Idee der „Reinheit des Blutes“ importiert; ein Konzept, das Menschen aufgrund ihrer vermeintlich „reinen“ christlichen Abstammung privilegierte und Konvertiten jüdischer oder muslimischer Herkunft diskriminierte. In vielen amerikanischen Gesellschaften lebten die Menschen in korporativen Abstammungsgemeinschaften und in den vorspanischen Imperien legte der Adel großen Wert auf Genealogie. Die asymmetrische Verschmelzung dieser Vorstellungen führte zu einer spezifischen Konfiguration der Organisation sozialer Differenz im kolonialzeitlichen Amerika; beeinflusst auch durch weitere Faktoren wie etwa Sklaverei. Der Vortrag zeichnet nach, wie soziale Differenz im kolonialzeitlichen Hispanoamerika organisiert war und erörtert die Frage ob und ab wann man bezüglich Teilen dieser Organisation von Rassismus sprechen kann.
"Sklaverei und Antisklaveri im iberischen Atlantik" - Thomas Weller (IEG Mainz)
Mit dem am Ende des 15. Jahrhunderts entstehenden System des atlantischen Sklavenhandels und der Sklaverei in den Amerikas erreichten Menschenhandel, Sklaverei und unfreie Arbeit eine neue Dimension. Der Vortrag betrachtet die Entstehung und Ausformung dieses Phänomens in der Frühen Neuzeit und geht dabei insbesondere auf die Anfänge des atlantischen Sklavenhandels und dessen Verbindung mit den seit der Antike existierenden Formen von Sklaverei im Mittelmeerraum und auf der Iberischen Halbinsel ein. Mit Blick auf das Rahmenthema der Ringvorlesung richtet der Vortrag ein besonderes Augenmerk auf den Zusammenhang zwischen atlantischer Sklaverei und Rassismus sowie auf die frühen Debatten um die Rechtmäßigkeit der Sklaverei und die Kritik am atlantischen Sklavenhandel vor dem britischen und angloamerikanischen Abolitionismus.
"The US slave trade, the Cuban slave trade" - Sean Kelly (Bonner Center for Dependency and Slavery Studies/University of Exeter)
"Dilemmas of Decoloniality: Anti-Racism and the Challenge of Deconstructing 'Race' " - Jonathan DeVore (Uni Köln)
This talk addresses critical tensions between neoliberal anti-racism and decolonial thought by examining recent social media representations of a stigmatized commensal practice in Brazil, referred to as “eating by hand” (comendo de mão). Attendees are strongly encouraged to read DeVore (2021, 2022) in advance, as key theoretical frameworks and ethno-historical case materials from these texts will be presupposed. Drawing on new evidence from social media (i.e. from TikTok), the talk foregrounds the ambivalent dynamics at play when historically racialized practices are reclaimed by contemporary anti-racist discourses. While such acts affirm marginalized identities and histories, they may simultaneously reproduce colonial framings that trace back to 19th-century “civilizing” ideologies. This ambivalence underscores the insidious challenge of what Karen J. and Barbara Fields call Racecraft, wherein “race” is continuously (re)produced through everyday practice. Engaging the work of scholars such as Frantz Fanon and Achille Mbembe, the talk approaches decolonization as an unfinished project of “disenclosure”—a movement beyond the epistemic and political enclosure of “race” itself, and a gesture toward the possibility of something new.
DeVore, Jonathan. 2021. “Black beans, white rice: On the racialization of Brazilian table manners, 1805–2018.” Anthropological Quarterly, 94(3): 505-546.
DeVore, Jonathan. 2022. “Between shame and a shared world: Toward a democratized theory of heterodoxical awareness.” Anthropological Theory, 22(1): 52–77.
"Ambivalencias raciales. Betrachtungen zu 'raza' und Rassismen im Kontext der kubanischen Emanzipation im 19 Jahrhundert." - Augustina Carrizo de Reiman (Uni Köln)
Die Idee der „Raza“ ist, wie Anibal Quijano bemerkt, das wirksamste Instrument der sozialen Herrschaft, das in den letzten 500 Jahren erfunden wurde. Rassifizierende Ordnungen verwandeln Klassen, d.h. Gruppen, die theoretisch über eine gewisse Mobilität im Produktionssystem verfügen, in Gemeinschaften mit unauslöschlichen, natürlichen Merkmalen. Die rassifizierten Subjekte geraten dadurch in eine soziologische Falle. Sie werden wahrgenommen und nehmen sich selbst als Ausdruck einer geschichtslosen Realität wahr. Um diese Falle zu begegnen, sollen in dem Vortrag die konzeptuellen und historischen Ambivalenzen beleuchtet werden, die die Idee der „Raza“ und die rassistischen Ordnungen in Lateinamerika im 19. Jahrhundert hervorgebracht haben. Zu diesem Zweck werden afrodescendientes, anarchistische und liberale Mis/Verständnisse über den Platz von Nicht-Weißen, auch als „Schwarze“ bezeichnet, im kubanischen Emanzipationsprozess vorgestellt. Dabei wird „Raza“ nicht als Farbe, sondern als Narbe gedeutet: als Zeichen einer mehrfachen Geschichte der Enteignung und Unterordnung, die nur aus der spezifischen Dialektik der Macht, die sie hervorgebracht hat, heraus interpretiert werden kann.
"Sinophpbia/anti-chinese racism in Latin America and the Caribbean" - Evelyn Hu-DeHart (Bonn Center for Dependency and Slavery Studies)
"Vergessene Allianzen: Zwei Organisationen im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus (Mexiko Stadt und Buenos Aires, 1938-1939)" - Andrea Acle-Kreysing (Karlsruher Institut für Technologie / Universität Heidelberg)
Wie lassen sich Antisemitismus und Rassismus gemeinsam denken und bekämpfen? Zwei 1938 gegründete Organisationen – die Liga Pro Cultura Alemana in Mexiko-Stadt und das Comité contra el Racismo y el Antisemitismo in Buenos Aires – zeigen, wie Exilierte, Migrant:innen und Intellektuelle in Lateinamerika Solidarität praktizierten. Ziel war es, die Öffentlichkeit über die Entwicklungen im nationalsozialistischen Deutschland aufzuklären, insbesondere über den wachsenden Antisemitismus. Dabei wurde Solidarität nicht nur über geteilte politische Werte legitimiert, sondern auch über die Erfahrung rassistischer Abwertung: Denn das NS-Rassenkonzept richtete sich nicht nur gegen Jüdinnen und Juden, sondern spiegelte koloniale Vorstellungen wider, die auch mestizische und indigene Bevölkerungen betrafen. Der Vortrag beleuchtet das Potenzial dieser transnationalen Allianzen – und ihre Grenzen inmitten gesellschaftlicher Vorurteile und Privilegien.
"Rhythm in Haiti - Jai-alai in Havana: Race und Gender in amerikanischer Flugreisenwerbung für die Karibik" - Anke Ortlepp
"The racial problem in Cuban labor migration in the GDR: An Oral History approach." - Milagro Alvarez Leliebre
This conference proposes an approach to the issues of racism and racial ideologies in the experience of Cuban labour migration to the GDR in the 1980s. These issues emanate directly from the memories of the witnesses, although not always explicitly, and allow for a simultaneous reconstruction of the impact that the policies of exchange and solidarity had on the lives of Cuban and German people, while at the same time showing the limitations they faced. At the same time, they reveal the permanence of different issues that, like racism, were considered eradicated by the official and hegemonic discourse. Using the theoretical tools of decolonial theory and studies on racism in Cuba and Germany, as well as the methodology of historical memory, we explore the ways in which racial ideologies are reflected in the life stories on two fundamental levels: the concrete experience of racism on the one hand and, on the other, the concepts used by the testimonies and their construction of meanings crossed by racial, local and identity elements. The testimonies give us access to unique spaces for thought and reflection, which help us to understand how racial ideologies are interwoven, systematised and socialised in everyday life.
" 'Racial Profiling' vor 200 Jahren: Die Geschichte der Polizei in Rio de Janeiro, 1808-1820" - Deborah Gerstenberger (Uni Köln)
In Brasilien hat Gewalt, auch die des Staates, einen starken Bias und richtet sich vor allem gegen Arme und Schwarze. Im Jahr 2023 starben rund 6.500 Personen durch Polizeigewalt, davon waren 83 % schwarz. In diesem Vortrag geht es darum, die Anfänge der Polizei in Brasilien zu analysieren, und insbesondere rassistische Polizeipraktiken in den Blick zu nehmen, die bereits vor 200 Jahren an der Tagesordnung waren.
Die Geschichte der brasilianischen Polizei beginnt mit der Übersiedlung des portugiesischen Königshofes nach Brasilien. Als eine napoleonische Armee im November 1807 in Lissabon einmarschierte, um die Kontinentalsperre gegen Großbritannien durchzusetzen, ließ der portugiesische Monarch João [VI.] seinen ganzen Hofstaat in Kisten verpacken und auf Segelschiffe verladen. Die königliche Familie und 15.000 Untertanen trafen kurze Zeit später in Rio de Janeiro ein, das nun zum Zentrum des portugiesischen Imperiums wurde. Für die Verwandlung der Stadt in ein "Tropisches Versailles" bedurfte es indes einer ordnenden Institution – einer Polizei. Diese richtete ihre Aufmerksamkeit vor allem auf die schwarze Bevölkerung, die rund die Hälfte der urbanen Gesellschaft ausmachte. Nach Gründung der Polizeiintendanz 1808 gerieten versklavte sowie freie schwarze Männer unter Generalverdacht und sahen sich intensiver Vigilanz und Repression ausgesetzt. Freizeitpraktiken wie Glücksspiele oder Capoeira sollten aus dem Stadtbild getilgt werden, weil sie die "öffentliche Ordnung" störten. Vermeintlich aus Gründen der staatlichen Sicherheit vergrößerte man die Distanz zwischen schwarzen und weißen Personen. Diese Prozesse des verstärkten "Othering" und des "Racial Profiling" avant la lettre sollen im Beitrag auf Basis von Quellenmaterial eingehend analysiert werden.