Ringvorlesung Lateinamerika Sommersemester 2022
Seit vielen Jahren veranstalten das Zentrum Lateinamerika (CLAC) und der Arbeitskreis Spanien-Portugal-Lateinamerika (ASPLA) eine interdisziplinäre Ringvorlesung zu kultur-, politik- und wirtschaftswissenschaftlichen Themen mit Lateinamerikabezug. Die Vortragsreihe richtet sich an Studierende aller Fakultäten der Universität zu Köln, an Gasthörer*innen, Lehrer*innen und Schüler*innen sowie die interessierte Öffentlichkeit und umfasst Beiträge herausragender nationaler und internationaler Expert*innen verschiedener Fachbereiche.
Von Mestizaje über die Kontaktzone bis zur Dekolonialisierung - Aushandlungen von Zugehörigkeit in Lateinamerika
In der interdisziplinären Ringvorlesung präsentieren ausgewiesene Spezialist*innen verschiedene Formen der Aushandlung von Zugehörigkeit in lateinamerikanischen Diskursen. Der Schwerpunkt liegt auf den Konzepten Mestizaje und Kontaktzone, wobei vor allem ersteres durchaus berechtigte Kritik erfahren hatte. Dabei werden sowohl historische Phänomene als auch gegenwärtige Entwicklungen beleuchtet die sich mit Prozessen kultureller und sozialer Vermischung befassen; von der kolonialen Gesellschaft über die Formierung der Nation im 19. Jahrhundert und indigenen und afroamerikanischen Bewegungen die sich spätestens seit den 1990er Jahren für Konzeptionen von Plurinationalität und Plurikulturalität einsetzen.
Die Publikation von Borderlands/La Frontera. The New Mestiza von Gloria Anzaldúa hat seit den 1990er Jahren und insbesondere in den Kultur- und Literaturwissenschaften ein erneuertes Interesse am Konzept der Mestizaje hervorgerufen, welches immer wieder aufgrund rassistischer Implikationen kritisiert worden ist. Gleichzeitig entstanden neue Begriffe um die Zugehörigkeit in heterogenen und oft konfliktiven Räumen theoretisch zu fassen. Mary Louise Pratt prägte den Begriff der Kontaktzone (1991) um sich auf den Raum kolonialer Begegnung zu beziehen und belebte den Begriff der Transkulturation (Ortiz 1983) neu, um den Blick auf die oft vorhandene Asymmetrie dieser Begegnungen zu lenken.
Heutzutage beleben die Konflikte um Territorien und Extraktivismus sowie die feministischen intersektionalen Diskurse und die Debatte um Dekolonialisierung Fragen der Zugehörigkeit in Amerika neu. Die Ringvorlesung will anhand von Beiträgen aus den Geschichtswissenschaften, der Soziologie sowie den Kultur-, Kunst- und Literaturwissenschaften beleuchten, wie wir uns dieser aktuelle Situationen annähern können. Dabei sollen auch einzelne Beiträge über Regionen außerhalb Lateinamerikas die Debatte bereichern.
Termine im Sommersemester 2022
Die Ringvorlesung findet donnerstags von 16:00 Uhr bis 17:30 Uhr voraussichtlich in Präsenz statt. Weitere Informationen folgen in Kürze.
Programm
Einführung - Mestizaje/Mestiçagem und Dekolonialität in historischer Perspektive - Sarah Albiez-Wieck (Universität zu Köln)
Der Vortrag erläutert im ersten Teil das Konzept der Mestizaje/Mestiçagem und seine historische Entwicklung in Lateinamerika. Es legt zunächst die Entwicklung der Kategorisierung Mestiz*in in der Kolonialzeit dar und zeichnet dann nach, wie im Laufe des 19. und 20. Jahrhundert das Konzept Mestizaje/Mestiçagem zentral für die Nationalstaatsbildung in vielen – aber nicht allen – Regionen Lateinamerikas war und wie gegen Ende des 20. Jahrhunderts der dem Konzept inhärente Rassismus zunehmend kritisiert wurde. Im zweiten Teil werden dann zunächst Definitionen für Kolonialismus und Kolonialität vorgestellt um schlussendlich die Entwicklung postkolonialer und dekolonialer Ansätze kurz nachzuzeichnen.
Einführung Kontaktzone: Heterogenität, Kontaktzone, Mestizaje oder ... Champurria? Die Suche nach Zugehörigkeit in der zweisprachigen Literatur von Daniela Catrileo - Bieke Willem (Universität zu Köln)
Im ersten Teil des Vortrags wird ein Überblick über einige der einflussreichsten Theorien gegeben, die in den letzten 50 Jahren in der Literaturwissenschaft zur Analyse kulturell und sozial hybrider Texte entwickelt wurden. Antonio Cornejo Polars Ideen zu heterogenen Literaturen, Gloria Anzaldúas The New Mestiza und Mary Louise Pratts Konzept der Kontaktzone werden diskutiert. Der zweite Teil des Vortrags konzentriert sich auf das zweisprachige Schreiben der gegenwärtigen Mapuche-Autorin Daniela Catrileo. Ihre Texte werden im Lichte der zuvor erwähnten Konzepte sowie des Begriffs "Champurria" analysiert, den sie geprägt hat, um den Zustand des Dazwischen zu bezeichnen, der ihr Schreiben und auch ihre eigene urbane Mapuche-Identität kennzeichnet.
Körper, Land und Erde im Roman Las orillas del aire von Karina Pacheco - Laura Welsch (Universität Gent)
Die Erzählerin des Romans Las orillas del aire (2017) der peruanischen Schriftstellerin Karina Pacheco berichtet von der Suche nach der Geschichte ihrer Familie, die zugleich eine Auseinandersetzung mit der Geschichte ihres Landes bedeutet, beide gezeichnet von Kolonialität, Gewalt und Verlust, aber auch Widerstand, Emanzipation und dekolonialen Praktiken. Sie erlebt diesen Prozess durch affektive Beziehungen zu den Menschen und Orten, mit denen sie sinnlich und emotional, unmittelbar aber auch durch Erzählungen und Erinnerungen, in Berührung kommt. Das Ereignis, das ihre Suche auslöst, verweist auf das hacienda-System Perus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, geprägt von extraktiven Praktiken, hierarchischen Strukturen, Rassismus und Geschlechterdiskriminierung; eine patriarchale Ordnung, basierend auf der Aneignung von Land, Ausbeutung natürlicher Rohstoffe und menschlicher Arbeit. Die Großmutter der Erzählerin scheint sich diesen Machtstrukturen gestellt zu haben und schließlich in ein neues Leben geflohen zu sein, jedoch nicht ohne Konsequenzen für sich selbst und die kommenden Generationen. Die Suche nach der Geschichte der Großmutter legt auch die Spuren der kolonialen und neokolonialen Geschichte Perus offen: die Unterwerfung indigener Völker und Kulturen, die Ausbeutung des Kautschuks im Amazonas, die halbfeudale Agrarstruktur im vergangenen Jahrhundert, der Extraktivismus und Drogenhandel des 21. Jahrhundert. Zugleich schreibt sie eine dekoloniale Dimension in den Roman und wirft die Frage nach Zugehörigkeit auf –zu bestimmten Orten, Landschaften und Geschichten–, die in dem Vortrag erörtert werden sollen. Hierbei sollen besonders die Verbindung und der Kontakt zwischen Körper, Land und Erde in den Vordergrund gerückt werden, die als Gegenstück zum extraktiven Paradigma sowie dem Verlust und der Trauer, die den Roman durchziehen, betrachtet werden können.
Emotion und Kontakt. Zur Funktion von Emotionen in der Zeit der Entdeckung und Eroberung der Neuen Welt - Dirk Brunke (Universität Bochum)
In der Vorlesungssitzung besprechen wir die europäischen Texte, die während der ersten hundert Jahre der Entdeckung, Eroberung und Kolonialisierung der Neuen Welt verfasst wurden, vor allem die Schriften von Christoph Kolumbus und Hernán Cortés. Diese sogenannten "Crónicas de Indias" sollen unter der Fragestellung ihres Affektpotenzials besprochen werden, d.h.: Inwiefern spielen Emotionen eine tragende Rolle bei den Kontakten zwischen Europäern und Indigenen. Ein besonderer Fokus richtet sich dabei auf den Affekt des Mitleids.
Explaining Latin America to Yankees: university lectures by J. Vasconcelos, M. Gamio and G. Freyre from the perspectives of cognitive semantics and discourse analysis - Alla Klimenkowa (Universität Göttingen) - hybrid
The negative perception of mestizaje and mixed population was overturned in the twentieth century, when Latin American intellectuals began to exalt Latin America as a privileged space of physical and cultural contact. The best-known “defense” of this privileged experience of miscegenation were among others works of J. Vasconcelos (La raza cósmica, 1925) and G. Freyre (Casa-grande e senzala, 1933). In very similar gestures, they shifted the focus from miscegenation as racial mixture meaning a pathology to mestizaje/ mestiçagem as productive of a creative, multi-accented culture. This category underwent an interesting progression from a physical, then an aesthetic and then a political discourse. The shift toward a positive popular conception of race mixture can be understood in part as an attempt of the predominately white intellectual elite to re-imagine the empirical reality of miscegenation in their countries. At the same time, the historical emergence of a nationalist concept of mestizaje (and its local manifestations) cannot be separated from the conflictual relations with the USA. From this perspective, we are interested, how both authors make use of the metaphor of mestizaje conceptualizing it as mestizaje is a foreign relation discourse or/and retooling it as a principally aesthetic category in their lectures at Northern American Universities of Chicago and Indiana.
“La nación guaraní”. Mestizaje und Nationsbildung in Paraguay im 19. und 20. Jahrhundert - Barbara Potthast (Universität zu Köln)
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begannen viele lateinamerikanische Staaten, nach neuen Wegen zu suchen, Vorstellungen von nationaler Identität breiter aufzustellen, und sich gleichzeitig von den bisher dominierenden europäischen Modellen abzugrenzen. Dabei spielte die Vorstellung, durch die lange Vermischung von indigener und europäisch-stämmiger Bevölkerung eine eigene, mestizische Bevölkerung und Kultur geschaffen zu haben, eine zentrale Rolle. Allerdings blieb dieses Bekenntnis zu indigenem Erbe oft auf der diskursiven Ebene. Als ein möglicherweise gelungenes Beispiel einer wirklichen Transkulturation in Lateinamerika wird immer wieder Paraguay angeführt, dessen Zweisprachigkeit (Spanisch und Guaraní) als ein wichtiges Indiz für die gelebte Verbindung von indigenem und europäischem Erbe angesehen wird. Die Forschung hinterfragt allerdings seit einigen Jahren diesen harmonisierenden nationalen Diskurs. Der Vortrag geht der Frage nach, wie es zu der (unbestrittenen) paraguayischen Sonderentwicklung kam, wann und wie die Vorstellung der homogenen und egalitären mestizischen Nation entstand und welchen politischen Interessen sie diente.
„Selbst(be)zeichnungen: Weibliche Territorialität und körperpolitische Ansätze in lateinamerikanischen graphischen Narrativen“ - Jasmin Wrobel (Freie Universität Berlin) - hybrid
In den letzten beiden Jahrzehnten und insbesondere in den letzten Jahren hat sich die sequentielle Kunst in Lateinamerika als wichtiger künstlerischer Raum des feministischen Widerstands erwiesen. Obwohl der Comic in seinen unterschiedlichen Ausdrucksformen nach wie vor von männlichen Zeichnern und auch Rezipienten dominiert wird, nutzen Künstlerinnen das Medium zunehmend dazu, hegemoniale und heteronormative Gesellschaftsstrukturen in Frage zu stellen. Durch die Entstehung und Etablierung neuer Publikationsplattformen (feministische Comiczeitschriften, die sozialen Medien oder Blogs) eröffnen sich eigene und unabhängige Räume, in denen im Sinne einer ‚weiblichen Territorialität‘ (Merino 2008) verstärkt eine Auseinandersetzung mit sexistischen und/oder rassistischen Diskriminierungsmustern, (sexueller) Selbstbestimmung oder aktuellen politischen Debatten stattfindet. Der Vortrag wird sich insgesamt vier Künstlerinnen widmen, die für unterschiedliche Generationen – und hiermit einhergehend für verschiedenartige Zeichenstile und Darstellungsmodi – der weiblichen und (queer)feministischen Comickunst speziell in Südamerika stehen: Pagu (1910-1962; Brasilien), Laerte (*1951; Brasilien), Powerpaola (*1977; Kolumbien u. Ecuador) und Panchulei (*1987; Chile). Ihnen ist allerdings gemeinsam, dass sie sich mit ihrer Comickunst aktiv gegen gesellschaftliche Zuschreibungen und Erwartungshaltungen richten und zum Teil explizit am politischen Diskurs in ihren Ländern teilnehmen. Dies geschieht nicht zuletzt über Dialoge bzw. Dispute mit hegemonialen, ‚westlichen‘ Bildtraditionen und über eine Konfrontation des white male gaze bzw. ‚kolonialen Blicks‘, wie ich in dem Vortrag einleitend erörtern möchte.
Das Denken an den Rändern: Indigene und afro-brasilianische Künste der Gegenwart - Peter W. Schulze/ Carola Saavedra (Universität zu Köln) - hybrid
Brasilien galt – auch im akademischen Diskurs – lange als Nation, die aus einer harmonischen „mestiçagem“ („Rassenmischung“) von Portugiesen, „Indianern“ und „Afrikanern“ hervorgegangen sei. Im Sinne einer „foundational fiction“ (Sommer) dient dieses im 19. Jahrhundert entstandene Narrativ vor allem seit den 1930er Jahren zur Fundierung der brasilianischen Nation. Brasilien als eine solche „imagined community“ (Anderson) basiert einerseits auf der Assimilierung indigener und afro-brasilianischer Kulturformen zur Profilierung einer spezifisch brasilianischen Nationalkultur; andererseits gründet sie auf der (teils forcierten) Akkulturation oder Exklusion der nicht-europäischstämmigen Bevölkerung des Landes.
Die Verhandlung nationaler und kultureller Identität manifestiert sich auch in vielen brasilianischen Kulturproduktionen im Sinne der idealisierten „mestiçagem“. Seit etwa zwei Jahrzehnten entstehen jedoch vermehrt ästhetische Produktionen, in denen gänzlich andere Perspektiven auf Brasilien als „imagined community“ zum Ausdruck kommen. Sie stammen vor allem von indigenen und afro-brasilianischen Kulturschaffenden, die bis dato im literarischen und künstlerischen Feld nur selten mit Darstellungen der partikularen Geschichte, Kultur und Lebenssituation ihrer Bevölkerungsgruppen in Erscheinung traten. Einige dieser Werke kennzeichnen sich durch ein spezifisches „Denken an den Rändern“ – im Sinne marginalisierter Denktraditionen indigener und afro-brasilianischer Provenienz sowie randständiger Denkformen, die durch ihre spezifische ästhetische Gestaltung geprägt sind. Diese Werke weisen besondere epistemische Dimensionen auf, die aus den je spezifischen Konfigurationen ästhetischer Darstellungsformen und partikularer Denktraditionen hervorgehen und sich in speziellen Subjektpositionen manifestieren. Zum Ausdruck kommt das „Denken an den Rändern“ beispielsweise durch ästhetische Verfahren wie Konzeptmetaphern, sekundäre Oralität, intertextuelle, interpiktorale bzw. intermediale Bezüge und die Transformation von Genremustern – in Verbindung mit Rekursen auf kulturspezifische Kosmogonien, Rituale und Mythologien etc.
In dem Vortrag werden afro-brasilianische und indigene Gegenwartskunst aus Brasilien vorgestellt, insbesondere Werke, die sich kritisch mit der Konzept und der Darstellung von „mestiçagem“ auseinandersetzen.
Métis Nation of Canada: Konflikte um Land und Zugehörigkeit im siedlerkolonialen Kanada von 1800 bis heute - Lisa Schaub (Universität Trier)
Im Zuge der Kolonialisierung des nordamerikanischen Kontinents entstanden aus ehelichen Verbindungen zwischen europäischen Pelzhändlern und indigenen Frauen die kanadischen Métis. Die Zugehörigkeit zur Métis peoplehood entwickelte sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts durch landbezogene kulturelle, soziale und wirtschaftliche Praktiken der Métis am Red River (heute Winnipeg, Manitoba) und kulminierte 1870 in der Artikulation eines Nationalbewusstseins: Die Red River Métis bezeichneten sich als eine „new nation“ mit einem eigenen Anspruch auf ein Siedlungsgebiet innerhalb des entstehenden Dominion of Canada. Doch anders als von den Métis gefordert, führte Kanadas siedlerkoloniale Politik nach 1870 nicht zur Einrichtung eines Métis-Territoriums im kanadischen Westen. Im Gegenteil: Kanadas Politik veränderte nicht nur das Land, das die Grundlage für das kulturelle, soziale und wirtschaftliche Leben der Métis bildete, sondern leitete auch siedlerkolonialistisch motivierte Assimilationsprozesse ein, infolgedessen biologistische Fremdbeschreibungsmuster das Selbstbild der Métis als eine distinkte Nation verdrängten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten die Métis ihre Sichtbarkeit als eigenständige Gemeinschaft verloren und waren aus dem multikulturellen Gesellschaftsgefüge Kanadas verschwunden. Erst 1982 wurden sie als eine von drei Aboriginal Peoples of Canada anerkannt.
Der Vortrag beleuchtet diese, hinter den Auseinandersetzungen um Land und nationale Selbstbestimmung stehende historische Konfliktsituation sowie die daraus resultierenden Auswirkungen auf den heutigen Diskurs über die Definition von Métis nationhood/ citizenship in Kanada. Er gibt Einblicke in die territoriale Verdrängung, kulturelle Assimilation und politische Zerschlagung der Métis Nation im 19. Jahrhundert und zeigt, wie sich die identitäre Selbst- und Fremdwahrnehmung der Métis durch die vom Siedlerkolonialismus eingeleiteten, territorialen Wandlungsprozesse von 1800 bis heute verändert haben. Dabei präsentiert er die Geschichte der Métis als eine raumgebundene, höchst konfliktträchtige Geschichte von „place-
making“ und „belonging“.
Dekolonisierung der politischen Verhältnisse nach der Unabhängigkeit? Staatsbildung und politische Kultur in Mexiko in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts - Silke Hensel (Universität zu Köln)
Die politische Geschichte Mexikos ebenso wie der meisten anderen lateinamerikanischen Staaten wurde für die Zeit nach der Unabhängigkeit lange als eine Geschichte des Scheiterns neuer Formen politischen Handelns und eine Geschichte der Kontinuität alter Eliten erzählt. Dem stehen neuere Forschungen gegenüber, die den Republikanismus und die politische Partizipation weiter Teile der Bevölkerung in den Vordergrund stellen. Der Vortrag ordnet sich in diese Debatte ein und fragt nach dem Wandel der politischen Kultur in den Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit und nimmt die Staatsbildung als einen Prozess in den Blick, der nicht nur von oben bestimmt wurde, sondern von der Bevölkerung vor Ort beeinflusst wurde.
Participating in urban assemblages: Rio de Janeiro as transatlantic contact zone - Tilmann Heil (Universität zu Köln)
This lecture explores the postcolonial mega-city of Rio de Janeiro as a transatlantic contact zone. The contemporary arrival of Europeans and Africans in this historically grown urban space revives question of participation and belonging of different constituencies of Brazilian society in urban life. Historical and contemporary references to Africanness and Europeanness come to overlap, but not unproblematically. I discuss the city as a contact zone and space of negotiation in which belonging can be understood as the contentious participation in the contemporary urban assemblage. Assemblage helps to conceptually grasp the multi-layered and contradictory dynamics of social heterogeneity.
Das Aushandeln von Zugehörigkeiten und Kontaktzonen in der afrokolumbianischen Literatur des 21. Jahrhunderts - Florian Homann (Universität Münster)
Viele Werke der zeitgenössischen kolumbianischen Erzählliteratur behandeln soziokulturelle Themen des Zusammenlebens, Prozesse von Transkulturation sowie kollektive Erinnerungen. Zugehörigkeiten und Identitäten können in der fiktionalen Literatur durch das Verarbeiten und Erzählen vielschichtiger Erinnerungen, zwischen kultureller und kommunikativer Dimension der meist heterogenen Kollektivgedächtnisse ausgehandelt werden, wobei Vergangenheit und das Erinnern an diese keineswegs statisch gegeben sind, sondern kontinuierlich gegenwartsbezogen rekonstruiert werden. Vergangenheit und ihre Folgen für die Gegenwart der afrokolumbianischen Bevölkerungsgruppe sind demnach als kulturelle Konstrukte von den performativen Akten des Erinnerns und Erzählens abhängig. Der kultur- und literaturwissenschaftliche Vortrag konzentriert sich auf das Aushandeln von Diskursen über Zugehörigkeiten in zwei im 21. Jh. veröffentlichten Erzähltexten, mit einem Fokus auf dem Konzept der Kontaktzone, von Pratt als Raum kolonialer Begegnungen definiert. So wird untersucht, inwieweit in den als postkoloniale bzw. transkulturelle Texte gelesenen Romanen der afrokolumbianischen Schriftstellerinnen Hazel Robinson und Adelaida Fernández sowohl die koloniale Grenze und deren Folgen als auch Transgressionen und Hybridisierung verarbeitet wird. Die Werke Afuera crece un mundo und No give up, maan! ¡no te rindas! beschäftigen sich mit Geschichte und Identitäten der heterogenen Gruppe der afrokolumbianischen Bevölkerung in Kontakt mit der Mehrheitsbevölkerung und werden im Vergleich zu den Werken afrokolumbianischer Literaturschaffender des 20. Jh., wie Manuel Zapata Olivella, analysiert.