Ringvorlesung Lateinamerika Wintersemester 2018/19
Seit vielen Jahren veranstalten das Zentrum Lateinamerika (CLAC) und der Arbeitskreis Spanien-Portugal-Lateinamerika (ASPLA) eine interdisziplinäre Ringvorlesung zu kultur-, politik- und wirtschaftswissenschaftlichen Themen mit Lateinamerikabezug. Die Vortragsreihe richtet sich an Studierende aller Fakultäten der Universität zu Köln, an Gasthörer*innen, Lehrer*innen und Schüler*innen sowie die interessierte Öffentlichkeit und umfasst Beiträge herausragender nationaler und internationaler Expert*innen verschiedener Fachbereiche.
Im Wintersemester 2018/19 findet die Ringvorlesung in Kooperation mit dem Portugiesisch-Brasilianischen Institut, dem GSSC - Global South Studies Center und dem Zentrum Portugiesischsprachige Welt statt
Transregionale Verflechtungen zwischen Brasilien und Hispanoamerika
Angesichts des als zu gering wahrgenommenen Austauschs zwischen Brasilien und Hispanoamerika sah sich der brasilianische Hispanist Jorge Schwartz noch in den 1990er Jahren veranlasst zu der programmatischen Forderung „Abaixo Tordesilhas!“ - nieder mit Tordesillas. Inzwischen wird den vielfältigen Wechselbeziehungen und transregionalen Verflechtungen zwischen Brasilien und den hispanoamerikanischen Ländern verstärkt Rechnung getragen durch eine steigende Anzahl an komparatistischen Studien, aber auch durch zahlreiche Akteure und Institutionen, die länderübergreifend agieren.
Die Ringvorlesung thematisiert die vielfältigen Verbindungen zwischen Brasilien und Hispanoamerika aus multidisziplinärer Perspektive, unter besonderer Berücksichtigung aktueller gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen. Das Augenmerk liegt dabei vor allem auf räumlichen und medialen Dimensionen asymmetrischer Machtgefüge. Beleuchtet werden zum einen transregionale Verflechtungen von Lebens- und Kulturräumen über nationale Grenzen hinweg und zum anderen transnationale Kulturproduktionen in ihren medialen und ästhetischen Erscheinungsformen. Die kritische Auseinandersetzung mit den Wechselbeziehungen zwischen Brasilien und hispanoamerikanischen Ländern erfolgt aus der Perspektive verschiedener Disziplinen, ergänzt durch das Wissen der Künste mit ihren spezifischen Reflexionsformen. Neben wissenschaftlichen Vorträgen beinhaltet die Ringvorlesung auch Präsentationen der bildenden Künstlerin Marina Camargo und Beitrage der Autorin Adelaide Ivánova und des Autors Julián Fuks.
Termine im Wintersemester 2018/19
Die Ringvorlesung findet donnerstags von 16.00 bis 17.30 Uhr in Raum S58 (Philosophikum) statt.
Abweichende Termine:
- Ori Preuss (Tel Aviv): Dienstag, 23.10.2018, 18:00-19:30 Uhr in Hörsaal XVIII (Hauptgebäude)
- Julián Fuks (São Paulo): Mittwoch, 21.11.2018, 18:00-19:30 Uhr in S21 (Seminargebäude)
Programm
Einführung - Peter W. Schulze (Köln)
"Inter-lateinamerikanische Perspektiven: Lateinamerika aus brasilianischer und hispanoamerikanischer Sicht" - Joachim Michael (Bielefeld)
Dass die historische Demarkation zwischen dem spanischsprachigen Amerika und dem portugiesischsprachigen bis heute wirksam ist, erscheint als ein Allgemeinplatz. Ebenso offenkundig ist, dass beide, zusammen mit dem frankophonen Amerika, eine Einheit bilden, die als Lateinamerika gegeben scheint. Der Widerspruch, jedoch, der sich aus den beiden Gemeinplätzen ergibt, muss das regionalwissenschaftliche Interesse erwecken. Denn es stellt sich die Frage nach der kulturellen und sozialen Konstruktion von Räumen, deren Kontingenz u.a. darin ersichtlich wird, dass sie sich zugleich als selbst-evident und als strittig darstellen. Damit verbunden ist die Frage nach der soziokulturellen Funktion von Grenzen, die an den Ambivalenzen des Raumes teilhaben, zu deren Konstitution sie wesentlich beitragen. Worum es daher geht, ist, über komparatistische Ansätze hinauszugehen und die Interaktionen, Vermittlungen sowie auch Konflikte zwischen Räumen und Kulturen stärker in den Fokus zu rücken, die auf die jeweiligen Seiten zurückwirken und sie derart mitgestalten. Die Vorlesung setzt sich folglich zum Ziel, das interamerikanische Geflecht aus hispanoamerikanischen und brasilianischen Wechselwirkungen und Differenzen zu untersuchen, aus dem sich Lateinamerika (zu weiten Teilen) ergibt. Dabei gilt es auch, die Gegensätze zu berücksichtigen, die Lateinamerika in Frage stellen. Gegenstand, ist, wie die Bezüge zwischen Brasilien und Hispanoamerika beiderseitig verstanden werden, und welche Konzeptionen Lateinamerikas sich hieraus ergeben. Grundlage der Analyse sind literarische Texte, Essays und Filme, in denen beide Seiten ihre Vorstellungen Lateinamerikas zur Anschauung bringen.
"Repertorio Americano: Remapping Latin American Intellectual Life, 1820s-1920" - Ori Preuss (Tel Aviv)
In this talk, I sketch the contours of my current book project, and present some preliminary hypotheses. It is a continuation of two previous monographs and will complete a trilogy about Latin America as a culture area. The previous books offered a correction to two major traditions in the historiography of ideas and identities in modern Latin America: the predominance of the nation-state as the main unit of analysis, and the focus on relationships with Western Europe and the U.S. as the main sphere of cultural exchange. Along the same lines, what I am aiming at now is to remap Latin America’s intellectual life from the time of independence to the last days of oligarchic politics. My intention is to re-conceptualize Latin American intellectuals as at once national and regional figures, and remap their cultural practices and texts accordingly. By cultural practices I refer to movement through geographical space, personal correspondence, involvement in intellectual scenes across national borders; participation in international events, transnational cultural projects such as libraries and periodical press. By mapping out texts I refer to the spatiality of personal, geographical, and intertextual references within them. I will demonstrate how these reconceptualization and methodology work through two individual cases, one from the beginning of the period I cover, that of D. F. Sarmiento in Chile and in Brazil, and another from the end of it concerning the entangled paths of two writers-diplomats: Argentine Estanislao Zeballos and Brazilian Oliveira Lima. The analysis in both cases centers on tensions and complementarities between the national scale and the macro-regional and continental scales.
Außerplanmäßige Veranstaltung: Dienstag, 23.10.2018, Hörsaal XVIII (Hauptgebäude), 18:00-19:30 Uhr
"Eine Sprache, eine Kultur, viele Nationen: Postkoloniale Überlebensstrategien der Guaraní in Südamerika" - Mona Suhrbier (Frankfurt am Main)
Mit der Aufteilung der Welt zwischen den Weltmächten Spanien und Portugal (Vertrag von Tordesillas 1494) endete die Verfügungsgewalt der Guaraní über ihr Land in Südamerika. Heute leben 225.000 Guaraní verteilt auf die Länder Argentinien, Bolivien, Brasilien und Paraguay. Obwohl sie sich selbstverständlich zwischen Guaraní-Dörfern in diesen Ländern bewegen, unterstehen sie dennoch unterschiedlichen Gesetzgebungen, müssen bei Auslandsreisen eine Nationalität annehmen und leben häufig am Rand der Gesellschaft. Mit welchen kulturellen und politischen Strategien ist es den Guaraní gelungen, unter widrigen, oft prekären Bedingungen standzuhalten und ihr Überleben als kulturelle Gemeinschaft bis heute zu sichern? Beispiele aus der Ausstellung „Entre Terra e Mar“ im Weltkulturen Museum zeigen Schönheit und Würde der Kultur der Guaraní.
"Nargileh und Taule: Libanesische Immigration bei Hatoum (Manaus) und Fayad (Bogotá)" - Juri Jakob (Köln)
Der Zeitpunkt der Einwanderung syrisch-libanesischer Flüchtlinge aus dem Osmanischen Reich fällt zusammen mit dem Höhepunkt des Kautschukbooms. Aufgrund ihres - im Vergleich mit anderen Einwanderern - höheren Ausbildungsstandes, ihrer Familienstruktur in einem von jungen, männlichen Abenteurern dominierten Migrationsgeschehen und - vor allem - ihres levantinischen Erbes als Händler inklusive ihres transregionalen und internationalen Beziehungsnetzwerks prägten sie nachhaltig Kolumbien wie Brasilien - und besonders sichtbar die Amazonasregion. Der Kautschukboom wäre ohne die kapillare Versorgung durch die wahlweise auch „turcos“ oder „árabes“ genannten Flusshändler (regatoes) kaum möglich gewesen. Allmählich stiegen sie in dem lange von Portugiesen und marokkanischen Sefarden beherrschten Sektor des Groß- und Zwischenhandels auf und bewiesen auch in der kurz vor dem 1. Weltkrieg einsetzenden Kautschukkrise, wie in den schwierigen Bedingungen der folgenden Jahrzehnte enorme Resilienz, während andere Migrantengruppen verelendeten.
Hier geht es mir darum, anhand einiger weniger Gegenstände der materiellen Kultur deren Bedeutung und Umdeutung nachzuzeichnen, gewisse in Kolumbien und Brasilien gemeinsame Aspekte der libanesischen Immigration im Prozess der Trans- und Inkulturation dieser Gegenstände zu identifizieren und sodann zu zeigen, welche Elemente eher Erinnerungsfunktion zu haben scheinen und mit den folgenden Generationen aufgegeben werden, welche stärkere kulturelle Identität bekommen als sie im Herkunftsland hatten und welche für das aufnehmende so attraktiv sind, so sehr Teil der Landeskultur geworden sind, dass ihre Wurzeln zunehmend in Vergessenheit geraten, insbesondere in der Kulinarik.
"Escribir en tiempos sombríos: la literatura como forma de resistencia" - Julián Fuks (São Paulo)
La idea es eternamente nueva: ¿Debe la literatura ser política? ¿Puede la literatura ser política? En un contexto de tensión y retroceso en varios aspectos y varios países, gana relevancia el oficio de la ficción como toma de posición, como acto de resistencia. Literatura y militancia, literatura y compromiso vuelven a acercarse. ¿Pero cómo hacerlo sin que se pierda la propia ficción, elemento prescindible en varias obras nuevas? ¿Y cómo hacerlo sin que se pierda la autonomía de la narración, la autonomía del arte? Una breve visita a la historia de esta tensión puede ayudar a pensar imposibles respuestas.
Außerplanmäßige Veranstaltung: Mittwoch, 21.11.2018, S21 (Seminargebäude), 18:00–19:30 Uhr
"Fora de série. Cine y escritura de la traducción en el 'ciclo brasileño' de Manuel Puig" - Delfina Cabrera (Buenos Aires/Berlin)
El escritor argentino Manuel Puig (1932-1990) vivió en Brasil entre 1980 y 1989. En Río de Janeiro escribió sus dos últimas novelas, Sangre de amor correspondido (1982) y Cae la noche tropical (1988), así como obras de teatro y varios guiones cinematográficos, entre los que se destaca O beijo da mulher aranha, una adaptación en portugués de su novela homónima en español para la película brasileño-estadounidense dirigida por Héctor Babenco en 1985. Este “ciclo brasileño” se caracteriza por una gran heterogeneidad genérica y temática, pero también por una constante: la escritura de la traducción. A primera vista, lo que se hace evidente en los manuscritos del autor son los pasajes y los cruces entre el portugués y el español, pero lo que aquí nos interesa es ir más allá de la traducción en su definición lingüística y reflexionar acerca de la traducción en tanto praxis creativa que se vincula en la literatura de Puig con una escucha sensible de las lenguas y de las voces acusmáticas del cine.
En Brasil, más que en ninguna otra etapa de su producción, Puig abre interrogantes con los que cuestiona de forma novedosa el estatuto de lo literario, la idea de autoría, de voz y de lengua nacional. Es un ciclo “fuera de serie” que funciona también como punto de referencia para estudiar la escritura de la traducción que está en la misma génesis de muchos de sus textos y que, además de alimentarse de voces en otras lenguas, traduce el lenguaje cinematográfico a la literatura.
Por eso, la propuesta de esta presentación es detenernos, una vez más, en la relación entre el cine y la literatura en la obra de Manuel Puig, pero incorporando un “punto de escucha” además del tradicional “punto de vista,” y prestando especial atención a la praxis traductora en tanto procedimiento estético para la creación de ficción y en tanto estrategia de ruptura con la sintaxis literaria a partir del contagio con el arte del cine.
"Journeying into Otherness. The Latin American Road Movie and Interculturality." - Nadia Lie (Löwen)
In the past two decades, the road movie has become one of the most popular genres in Latin American cinema. A particular feature of the genre is its ability to bring together people from different backgrounds and social classes through the shared space of the road. This lecture examines what this means for contemporary Latin America, with specific attention to Brazil. Discussing examples by Walter Salles (Diarios de motocicleta), Jorge Bodanzky (Iracema) and Sandra Kogut (Um passaporte húngaro), we will trace three different paths along which the road movie’s exploration into cultural otherness has evolved.
"Cockblock and the Politics of Girlterrupting" - Adelaide Ivánova (Recife/Berlin)
"To be, or not to be Latin America – Brazilian Identity in Regional Context" - Vinicius de Carvalho (London)
This lecture will discuss the positioning of Brazil within Latin American countries. It will explore the controversies around the inclusion or not of Brazil in the region. The lecture challenges the idea of a common identity within the region in a post-colonial approach.
"Gefährliche Nachbarschaft. Das aufrührerische Hispanoamerika aus brasilianischer Perspektive, 1808-1820" - Debora Gerstenberger (Berlin)
Als der portugiesische Königshof im Zuge der napoleonischen Kriege 1807/08 nach Brasilien übersiedelte, wurden die Träume der portugiesischen politischen Eliten zunächst wahr: Rio de Janeiro stellte sich als sicherer Hafen für die portugiesische Monarchie heraus, die hier, in den Tropen, vor den Umwälzungen in Europa sicher zu sein schien. Doch lauerten Gefahren in der Nachbarschaft: die portugiesischen Autoritäten beobachteten von Rio de Janeiro aus permanent argwöhnisch die Ereignisse und Prozesse, die in Hispanoamerika vor sich gingen. Unabhängigkeitsbewegungen oder erstarkende abolitionistische Bewegungen versetzten sie augenblicklich in Souveränitätspanik. Der Beitrag beleuchtet die Verbindungen zwischen Brasilien und dem "gefährlichen" Hispanoamerika in der Zeit von 1808 bis 1820 aus der Perspektive der portugiesischen Krone in Rio de Janeiro.
"Transnationale Investitionen und Widerstand 'von unten': Das Beispiel des brasilianischen Bergbauunternehmens Vale in Lateinamerika" - Phyllis Bußler (Köln)
Im Zuge des ökonomischen, sozialen und politischen Aufstiegs Brasiliens zu Beginn der 2000er wurde u.a. die Internationalisierung brasilianischer multinationaler Unternehmen mit dem Aufbau und der Intensivierung diplomatischer Beziehungen mit seinen lateinamerikanischen Nachbarländern massiv voran getrieben. Auch das Bergbau-Unternehmen Vale, das zu den Größten der Welt gehört, profitierte von dieser Strategie. Im Rahmen seiner weltweiten Investitionen weitete das Unternehmen auch seine Aktivitäten innerhalb Lateinamerikas aus, z.B. nach Chile, Argentinien, Kolumbien und Peru. Der Abbau von Kohle und Eisenerz, der Ausbau der entsprechenden Infrastruktur für den Abtransport der Güter sowie der Bau von Wasserkraftwerken steht seit je her im Konflikt mit den Interessen der vor Ort lebenden Bevölkerung, welche mit Menschenrechtsverletzungen, Umweltverschmutzungen und Landkonflikten konfrontiert sind. Die Internationalisierung der Vale führte 2010 zur Gründung der Articulação Internacional dos Atingidos pela Vale, ein transnationales Netzwerk bestehend aus sozialen Bewegungen, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Gewerkschaften und Betroffenen, das Proteste und Widerstand aus den betroffenen Regionen aus Lateinamerika und weltweit vereint. Vor diesem Hintergrund befasst sich der Vortrag mit der Frage, inwieweit die Internationalisierung des Vale-Unternehmens in Lateinamerika zu einem transregionalen Widerstand geführt hat und welche Rolle die Verbindung zur brasilianischen Zivilgesellschaft dabei spielt.
"Disfunctional Cartographies" - Marina Camargo (Porto Alegre/Berlin)